Wege aus der Corona-Krise: Warum ist ein Plan für den Weg aus der Krise notwendig?

Die aktuelle Situation ist für uns alle vollkommen neu. Schnell, sorgsam und bisher erfolgreich haben die Regierungen in Deutschland auf die Ausbreitung des Corona-Virus reagiert. Das Problem ist: Die aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens können nicht aufrecht erhalten werden bis ein wirksamer Impfstoff gefunden, produziert und flächendeckend verabreicht wurde. Die nächsten Schritte auf dem Weg aus der Corona-Krise sind also noch offen.

Serpil Midyatli
SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli Bild: Thomas Eisenkrätzer

Viele schrecken aktuell vor einer öffentlichen Debatte über das Ende der Beschränkungen unseres Lebens zurück. Nachvollziehbar ist, dass Erwartungen nicht enttäuscht und die Gefahr des Virus nicht banalisiert werden soll. Demokratisch geboten ist aber eine offene Debatte. Zu groß sind die Konsequenzen der nächsten Schritte, als dass die Diskussion darüber in Hinterzimmern geführt werden dürfte. Und klar ist: Das Virus wird uns noch sehr lange begleiten. Damit wir diese Phase gut überstehen, müssen wir eine Perspektive für die nächsten Monate vermitteln.

Aktuell werden die strengen Verbote in der Breite der Bevölkerung befürwortet, aber ob dies so bleibt? Schließlich ist die große Zustimmung zu den Verboten einerseits Ausdruck von Unsicherheit und auch Angst vor den möglichen unmittelbaren Auswirkungen des Virus – Krankheit, Tod, Zusammenbruch des Gesundheitssystems – andererseits Erleichterung darüber, dass zunächst das Schlimmste – „italienische Zustände“ – abgewendet scheinen. Die Angst vor dem Virus wird aber von weiteren Ängsten und Sorgen begleitet: Arbeitslosigkeit, Rezession, soziale und gesellschaftliche Verwerfungen wie häusliche Gewalt und Vereinsamung.

Diese Ängste wachsen, das merke ich an vielen Nachrichten, die mich tagtäglich erreichen. Zusammen mit dem wachsenden Wunsch nach Nähe, den wir gerade an den Ostertagen merken, könnte es dazu kommen, dass Verbote an Zustimmung verlieren. Im schlimmeren Fall werden sie zunehmend unterlaufen. Schon wegen der großen Zahl von Menschen können sie nicht flächendeckend durch Zwang, also im Wege polizeilicher Maßnahmen, durchgesetzt werden. Letzteres ist in einem freien und demokratischen Staat für mich ohnehin undenkbar.

Wie der Weg aus der Krise aussehen könnte: Ein Corona-Expertenrat

Die Diskussion über den Weg aus der Krise muss transparenter werden als die bisherigen politischen Entscheidungsprozesse. Was wir nicht mehr brauchen, sind scheinbar alternativlose Maßnahmen. Vor allem muss die Verhältnismäßigkeit stärker in den Blick genommen werden – immerhin geht es um die Einschränkung unserer Grundrechte. Sie werden so stark eingeschränkt wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik.

Die verschiedenen Optionen müssen öffentlich mit dem Menschen im Land diskutiert werden. Deshalb ist es gut, dass Daniel Günther jetzt einen Expertenrat einberufen hat. Darin kommen Expertinnen und Experten aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen. Mit Hilfe dieser Beratung kann die Politik einen Weg aus der Krise festlegen.

Dafür brauchen wir zuerst Klarheit über das zu verfolgende Ziel. Welchen Anteil an Infektionen sind wir bereit zu akzeptieren? Wie sorgen wir dafür, dass die Kapazitäten der Krankenhäuser ausreichen? Wenn das klar ist, müssen die aktuell befristeten Regeln in wohldurchdachte Maßnahmen mit einer potenziell längeren Laufzeit umgewandelt werden.

Ich denke, dass viele kleine Stellschrauben gedreht werden können, ohne die Infektionsgefahr drastisch zu erhöhen. Dazu gehört die Öffnung von kleineren Geschäften. Beispielsweise Buch- oder Fahrradläden. Auch die Freigabe von Spiel- und Sportplätze ist denkbar. Als Mutter von zwei Jungs wünsche ich mir, dass die sich endlich wieder auspowern können. Das Problem ist: Meine Einschätzung ist nicht maßgeblich, weil ich gar nicht alle Konsequenzen im Blick haben kann. Deshalb brauchen wir den Expertenrat!

Bei der Umsetzung der dann vereinbarten langfristigen Maßnahmen darf sich die Landesregierung keine Fehler erlauben wie bei der Verwirrung um die Nutzung von Zweitwohnungen oder bei den übertriebenen Kontrollen an der Grenze zu Hamburg. Zudem müssen die Maßnahmen wissenschaftlich eng begleitet werden, um jederzeit nachsteuern zu können. Der gesamte Prozess muss professionell kommuniziert werden. Über Ziele, den aktuellen Stand der Entwicklungen und bevorstehende Anpassungen sollte zu festen Zeitpunkten transparent informiert werden. Das Chaos in Bezug auf Familientreffen an Ostern mit einer Kehrtwende erst am Gründonnerstag zeigt, dass die Kommunikation der Regierung besser werden muss.

Die Zusammenarbeit zwischen Landesregierung und SPD-Fraktion sollte bis auf weiteres fortgesetzt werden. Wir als SPD sind auch weiterhin zu einem gemeinsamen Vorgehen im Kampf gegen das Virus bereit. Wir werden aber auch deutlich machen, wenn es aus unserer Sicht Anlass für Veränderungen des Regierungshandelns gibt.

Bei allen Maßnahmen ist klar: Die Gesundheit der Menschen im Land hat Priorität. Sie muss geschützt werden. Trotzdem ist die Eindämmung der Corona-Krise auch eine soziale Frage.

Als SPD haben wir gerade diejenigen im Blick, die durch die bisherigen Maßnahmen besonders betroffen sind. Dazu zählen Jugendliche, die auf Angebote der offenen Jugendarbeit angewiesen sind, die Betroffenen von häuslicher Gewalt, Eltern, die plötzlich die Betreuung ihrer Kinder alleine stemmen müssen, Künstlerinnen, Gastronomen und andere Selbständige oder Seniorinnen und Senioren, die keinen Kontakt mehr zu Kindern und Enkeln haben.

Die Bekämpfung dieser Härten verlangt von uns immer wieder neue Anstrengungen. Die eingesetzten Instrumente müssen beständig angepasst werden, damit niemand durch das soziale Netz rutscht.

Von der Exit- zur Start-Strategie

Und schließlich bin ich überzeugt: Wir brauchen nicht nur eine Exit-Strategie aus dem Lockdown, sondern auch eine Start-Strategie für die Zeit nach der Corona-Krise.

Einige Neuerungen sind es wert, dass wir sie erhalten. Dazu gehört beispielsweise eine größere Flexibilität bei den Möglichkeiten von Home-Office oder eine Reduzierung von Dienstreisen.

Ganz sicher gehört die Wertschätzung für „systemrelevante“ Berufe dazu, die jeden Tag dafür sorgen, dass unser Leben funktioniert. Deshalb verdienen Pflegekräfte nicht nur einen einmaligen Bonus von 1.500 Euro, sondern generell bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Das gilt genauso für viele andere Berufe. Sei es im Einzelhandel, bei Sicherheitsdiensten oder im Reinigungsgewerbe. Die Krise schärft meinen Blick für das, was wirklich zählt.

Andere Dinge müssen wir dringend ändern. Der Spardruck im Gesundheitssystems muss beendet werden. Im Extremfall kostet er Menschenleben. Ohnehin zeigt sich, dass den meisten Menschen in schwierigen Zeiten ein handlungsfähiger Staat und eine starke Verwaltung wichtig sind. Das darf künftig durch kurzsichtige Sparwünsche nicht mehr gefährdet werden.

Ich wünsche mir, dass wir alle gemeinsam aus dieser Krise lernen, um gestärkt daraus hervorzugehen.